In jeder Familie gibt es hin und wieder Konflikte. Haben Eltern und Kinder jedoch das Gefühl, im Miteinander immer wieder an ihre Grenzen zu kommen, kann man sich Hilfe suchen.
Christine Ordnung leitet das Deutsch-Dänische Institut für Familientherapie in Berlin auf den Grundlagen von Jesper Juul. Im Interview verrät sie, welche Probleme Familien belasten und wie sie als Therapeutin helfen kann.
Von Frauke Suhr
![Christine ordnung[1]](https://www.fraukesuhr.de/wp-content/uploads/christine_ordnung1-1024x683.jpg)
Was sind Gründe für eine Familientherapie?
Christine Ordnung: Auslöser für eine Familientherapie sind oftmals Auffälligkeiten der Kinder. Das kann herausforderndes Verhalten gegenüber den Erzieherinnen sein, oder schlechte Noten in der Schule. Dabei sind die Kinder in der Regel nur die Symptomträger. Mit ihrem Verhalten weisen sie darauf hin, dass eigentlich die Eltern Unterstützung brauchen.
Was machen Eltern falsch?
Ordnung: In vielen Fällen steckt dahinter, dass Eltern sich als Paar verloren haben. Sie können ihre Liebesbeziehung nicht mehr richtig leben, weil sie all ihre Kraft und Energie in die Kinder investieren. Manche Eltern sind auch aus anderen Gründen erschöpft und schaffen es nicht mehr, ihre eigenen, grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Darunter leiden dann auch die Kinder.
Sind Mütter häufiger erschöpft als Väter?
Beide Eltern sind erschöpft. Mütter signalisieren eher nach außen, dass sie Hilfe brauchen. Väter stürzen sich häufiger in die Arbeit. Das ändert sich aber auch langsam. Bei uns im Institut melden sich jetzt öfters auch mal Väter, die sich Hilfe wünschen.
Seit der Coronapandemie reden wir mehr über Mental Health. Hat das etwas zum Positiven bewirkt?
Ich wünschte, Corona hätte mehr bewirkt. Es gab diesen kurzen Moment, wo Familien in den Mittelpunkt gerückt wurden und geschaut wurde: Was wird Familien da eigentlich zugemutet? Dass die plötzlich so eingesperrt waren, in ihren kleinen Wohnungen. Kinder wurden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen, die haben wirklich viel Leid erfahren. Aber dann sind die Eltern und Kinder schnell wieder in den Hintergrund gerückt. Da wurde gesellschaftlich zu wenig aufgearbeitet.
Stehen Familien heute stärker unter Druck?
Wir haben heute Doppelverdiener und eine Ganztagsbetreuung. Die ist auf der einen Seite eine Entlastung für Eltern. Andererseits ist die gemeinsame Zeit als Familie stark reduziert. Kinder können kaum noch lernen, wie unser Umgang miteinander ist, wenn wir als Familie wirklich Zeit füreinander haben, ohne uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen.

Wie kann die Familientherapie da helfen?
Es gibt nicht den einen Ratschlag, den ich jeder Familie geben kann. Ich kann sehen, auf welche Art und Weise sich Eltern gerade überfordern. Wo sie sich selbst vergessen. Und weise sie dann darauf hin. Manche Eltern setzen sich so unter Druck, dass sie in der Erschöpfung landen und stellen dann Anklagen an ihre Kinder. Manche wollen die perfekte Mutter oder der perfekte Vater für ihr Kind sein. Sie selbst verschwinden als Person hinter einem Bild, das sie glauben, erfüllen zu müssen. Kinder spüren aber, wenn ihre Eltern nicht authentisch sind.
Was raten Sie Eltern dann?
Wenn ein Kind bestimmte Verhaltensweisen zeigt, frage ich die Eltern, wie sie in ihrer eigenen Kindheit waren. Häufig zeigen sich Parallelen. Die Aufmerksamkeit geht dadurch vom Kind weg zu den Eltern. Das ist wichtig, damit das Kind nicht so viel Zuständigkeit für das Problem bekommt. Oftmals entspannen sich Kinder dann, wenn sie merken, dass ihre Eltern auch nur Menschen sind, mit Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen. Sie erleben ihre Eltern wieder als Person.
Der Druck kommt ja auch von außen. Soziale Medien und Ratgeber vermitteln, dass Eltern niemals schimpfen dürfen. Ist das überhaupt realistisch?
Ich kann meine Emotionen zwar kontrollieren, aber ich kann sie vor meinem Kind nicht verstecken. Was man vermeiden sollte, sind Sätze, die so beginnen: Warum musst du immer? Oder: Kannst du denn nie? Das ist Altlast von früher.
Eltern dürfen ihren Kindern ruhig mal sagen: „Jetzt bin ich ärgerlich.“ Oder: „Ich habe jetzt keine Lust, zu spielen.“ Dann bin ich bei mir und übernehme Verantwortung für meine Gefühle.
Fühlen Kinder sich davon nicht zurückgewiesen?
Doch, aber das ist auch mal ok. Viele Eltern wollen zu ihren Kindern am liebsten immer Ja sagen. Aber das geht nicht. Wenn ich auch mal Nein sage, lernt das Kind, dass auch Eltern Grenzen haben. Das kann zu Frust und Tränen führen, aber das gehört zum Leben dazu.
Dieser Artikel wurde am 02. Juni 2024 auf dem Familienblog Bob.family veröffentlicht.