Mutter, Frau, Mensch?

Blog Mutter Frau Mensch

So viele Rollen, so wenig Verständnis

Bevor wir Kinder bekamen, waren wir ein „Ich“. Ein Singular, eine Einzelperson, die für sich selbst verantwortlich war. Wir machten uns morgens in Ruhe einen Kaffee, nahmen in der Garderobe eine leichte Tasche vom Haken und liefen los. Zur Arbeit. Zum Sport. Oder ins Café. Wir liefen in unserem eigenen Tempo, so schnell oder so langsam wie nur wir es wollten. Wir hörten Musik über Kopfhörer, träumten oder unterhielten uns mit einer Freundin, ohne Unterbrechungen von außen. 

Dann wurden wir Mutter. Ab wann eigentlich? Ab dem Moment, in dem wir das Baby gebaren? Das ist das Körperliche. Das Gefühl, wirklich deine Mutter zu sein, braucht Zeit, braucht Wachstum. Das passiert in unserem Kopf, in unserem Herzen. Bei der einen schneller, bei der anderen später. 

Ab jetzt können wir keinen Schritt mehr gehen, ohne jemanden mitzuschleppen. Im Arm, in der Trage, im Buggy, im Schlepptau. Wir denken für dich mit, wir packen für dich mit, die Gurte des schweren Rucksacks schneiden in unsere Schultern. In Ruhe Kaffee kochen oder uns morgens schminken ist jetzt nicht mehr. Für Sport oder fürs Café fehlen uns Ruhe und Zeit. Bei Gesprächen mit der Freundin werden wir nun ständig unterbrochen. Dabei bräuchten wir sie gerade jetzt am dringendsten. 

„Das ist jetzt nun mal so“, sagt die Gesellschaft. „Du hast es dir ja selbst so ausgesucht“, sagt deine Mutter. Verständnis von außen? Fehlanzeige. Du bist jetzt ein Plural. Und deine eigenen Bedürfnisse stellst du hinter denen der anderen zurück. Ob du willst oder nicht. Denn das erwartet man von einer Mutter. Warum eigentlich?

Das Jahr Elternzeit schreitet schnell voran. „Wann fängst du denn wieder an zu arbeiten?“, fragen die Nachbarn. Es klingt lauernd, wie ein Befehl. Schließlich müssen wir doch alle Steuern zahlen. Ein Mensch ohne Arbeit ist in dieser Gesellschaft nichts wert. 

Der erste Tag im Büro fühlt sich zugleich fremd und vertraut an. Plötzlich kannst du wieder eine Sache am Stück zu Ende machen. Ganz kurz sind alle zufrieden mit dir. Dann triffst du deine Tante: „Wie – du arbeitest jetzt schon wieder? Und was ist mit dem Baby?“ Du schluckst. „Das ist in der Kita./ Ist beim Vater./ Ist bei der Oma.“ – „So früh schon? Das hätte es früher aber nicht gegeben!“ 

Jeder glaubt es besser zu wissen, wie du nun zu sein hast. Als Mutter. Als Partnerin. Als Kollegin. Als Mensch. Dabei betrachtet jeder nur einen Ausschnitt deines Lebens. Nur eine Momentaufnahme. Eine Sequenz.

Langsam erinnerst du dich, dass es früher anders war. Darfst du überhaupt noch der Mensch von früher sein? Wo ist das Singular in all dem Plural geblieben? Wo das Ich? 

Wir erwarten vom Außen, dass es uns erlaubt, wieder mehr an uns selbst zu denken. Doch die Gesellschaft denkt nicht daran. Für sie bist du jetzt Mutter, nicht mehr Mensch. Deine Bedürfnisse zählen nicht für sie. 

Irgendwann ist es dir egal, was die anderen sagen. Du fängst wieder an, dir Zeit für dich selbst zu nehmen. Den Vater des Kindes stärker in die Pflicht zu nehmen, die Großeltern, die Kita oder die Nachbarn. Deinem Kind schadet es nicht. Es freut sich, seine Mutter glücklich und ausgeglichen zu sehen. So, wie du wirklich bist, bist du als Mutter am besten. Keine kann dich für dein Kind als Mutter ersetzen. 

„Du wirkst ja so ausgeglichen“, sagen sie nun. „Früher wirktest du immer so gestresst.“ „Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.“ Hilfe anzubieten kam keinem in den Sinn. Wir müssen sie selbst einfordern. Und das ist vielleicht die wichtigste Lektion, wenn wir Kinder bekommen.