Ein Schreibtisch für mich allein

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Als ich noch täglich ins Büro ging, also vor der Corona-Pandemie und vor Baby Nummer zwei, hatte ich einen eigenen Schreibtisch. Er war nichts Besonderes – weiß, aus Metall, nur bedingt höhenverstellbar –  aber er war mein eigener. Er stand vor dem Fenster in einem Raum, den ich mir mit Kollegen und einer großen Monstera Deliciosa teilte. Durch das Fenster konnte ich den Hamburger Park „Planten un Blohmen“ sehen, ein Konzerthaus und eine Brahms-Skulptur. 

Weil ich morgens immer die Erste im Büro war, was weniger an meiner ambitionierten Art als an den Kita-Öffnungszeiten lag, kochte ich zunächst einmal Kaffee. Der Moment, wenn das Wasser durch den Filter gluckste und ich schon mal die News-Seiten checkte, während draußen langsam die Morgendämmerung einsetzte, gehörte nur mir allein.

Als im März 2020 die Pandemie begann, wechselte ich wie so viele Arbeitnehmer*innen ins Homeoffice. Mein Mann ebenso. Fortan teilten wir uns einen Schreibtisch. Eigentlich war es gar kein Schreibtisch, sondern ein schlichter Ikea-Esstisch aus Kiefernholz. Er stand im Wohnzimmer unserer 64-Quadratmeter-Altbau-Wohnung. Wir hatten ein System: Vormittags arbeitete ich an dem Tisch, nachmittags mein Mann und wer gerade nicht am Schreibtisch saß, kümmerte sich um unseren zweijährigen Sohn. 

Doch Kinder nehmen sich ihre Mutter wann immer sie wollen und ein Zimmer, das sich nicht abschließen lässt, ist dabei keine Hürde für sie. Auch nicht, wenn die Mutter mitten in einer Teams-Konferenz sitzt. Noch immer stand ich morgens als erste auf. Doch anstatt Kaffee zu kochen und Nachrichten zu lesen, tröstete ich nun ein trotztobendes Kleinkind, räumte den Geschirrspüler aus und stopfte Wäsche in die Waschmaschine, während ich gleichzeitig versuchte, Artikel zu schreiben.

Laut einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung unter 6.000 Befragten arbeiteten vor der Pandemie nur vier Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland im Homeoffice. Im ersten Lockdown im April 2020 stieg der Anteil auf 27 Prozent. Die Carearbeit, also alles rund um Haushalt, Kinderbetreuung, Homeschooling und Pflege, blieb dabei überwiegend an den Müttern hängen: Laut DIW betreuten Mütter während des ersten Lockdowns ihre Kinder durchschnittlich zehn Stunden am Tag; oftmals neben der Erwerbsarbeit. 

Bei Vätern stieg die Zeit der täglichen Carearbeit auf fünf Stunden, was im Vergleich zu vor der Pandemie zwar ein größerer Anstieg war als bei den Müttern, insgesamt aber nur die Hälfte ihrer täglichen, unbezahlten Carearbeitszeit betrug. In Folge mussten viele Frauen mit Kindern ihre Erwerbsarbeitszeit verkürzen. Auch ich reduzierte die Stunden meiner Teilzeitstelle notgedrungen, von 25 auf nur noch 20 Stunden. Dabei wollte ich sie eigentlich gerade erhöhen.

Im November 2020 wurde ich wieder schwanger und der Schreibtisch, inzwischen ein höhenverstellbarer mit Monitoren, ging ganz an meinen Mann über. Wieder hatten wir einen Plan: Bis die Pandemie vorbei wäre, was, wie wir damals dachten, nicht mehr lange dauern könnte, sollte ich unseren Alltag etwas erleichtern, indem ich wieder in Elternzeitging. Danach wollten wir beide wieder in unseren Berufen durchstarten. Doch es kam anders.

Unsere Altbauwohnung, zentral im Herzen von Eimsbüttel und nahe an unserer Arbeit gelegen, war für unsere Familie längst zu klein. Doch seit dem Jahr 2016, als wir nach Hamburg gezogen waren, waren die Mietpreise in der Stadt laut einer Erhebung von Immowelt um satte 19 Prozent gestiegen. Größere Wohnungen ab drei Zimmern, wie wir sie suchten, sind dort ohnehin rar: So gab es im April 2022 in Eimsbüttel 281 Angebote für Zwei-Zimmerwohnungen, jedoch nur 55 Angebote für Drei-Zimmer-Wohnungen und lediglich 15 Inserate für Wohnungen mit vier Zimmern oder mehr.

Mittlerweile wohnen wir nicht mehr in Hamburg. Die hohen Mieten, die Corona-Krise, die Inflation und die mangelnde Unterstützung bei der Kinderbetreuung zwangen uns zum Umzug in die Provinz, näher heran an die Großeltern. Weiter entfernt von den Jobs. 

Inzwischen besitze ich einen eigenen Schreibtisch. Er wartet, noch in seiner Verpackung, darauf, dass ich endlich wieder Zeit habe zum Arbeiten. Zum Schreiben, schrieb Virginia Woolf im Jahre 1929, bräuchten Frauen „Fünfhundert Pfund im Jahr und ein eigenes Zimmer“. Noch bin ich in Elternzeit – mangels Kitaplätzen in der Provinz aktuell mit zwei Kindern zuhause. Der Dachboden, der irgendwann auch mal mein Arbeitszimmer werden soll, wird zurzeit noch von meinem Mann belegt. Damit die Kinder nicht ständig hochkommen, hat er eine Luke eingebaut, die so schwer ist, dass auch ich sie kaum aufgestemmt bekomme.

Ich träume davon, irgendwann wieder morgens einen Kaffee zu kochen und ganz allein im Raum zu sein. Mich an einen Schreibtisch zu setzen und einen ganzen Vormittag lang durchzuarbeiten. Ich träume davon, Beruf und Familie wieder trennen zu können, um den Nachmittag für meine Kinder frei zu sein. Und die Zeit mit ihnen dann wieder zu genießen.